Vom Dorffest zum internationalen Festival
Zum 30. Mal feiert das Bergmannsblasorchester Aue-Bad Schlema mit Kapellen, Blasorchestern und Brassbands aus der ganzen Welt im Erzgebirge
„Möge dieses Fest Tradition in Schlema werden und allen frohe und erholsame Stunden bereiten.“ So war es auf dem Plakat zum „1. Fest der Blasmusik“ zu lesen. Das wurde 1992 gefeiert.
Anlass war das 25-jährige Bestehen des Musikvereins „Blasorchester der Stadt Aue“, dem heutigen „Bergmannsblasorchester Aue-Bad Schlema“.
„Solch ein Fest gehört dorthin, wo der Bergbau seine Wurzeln hat, nach Schlema.“
Festivalvater Stefan Richter
Der Vorstand um den Geschäftsführer Stefan Richter ahnte zu dem Zeitpunkt noch nicht, welche Dimension das Fest einmal annehmen wird. Richter bekam einen Anruf vom damaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft IGBE, die ihre Jubilare ehren wollte – allerdings in Chemnitz. „Wenn Bergleute feiern, dann in Schlema. Solch ein Fest gehört dorthin, wo der Bergbau seine Wurzeln hat“, warf Stefan Richter mutig in den Raum.
Inspiriert von den Herrenberger Musiktagen in Baden-Württemberg, bei denen das Bergmannsblasorchester 1990 zu Gast war, setzte der künftige Chef-Organisator seine Idee um. Er wurde von der IGBE unterstützt, die 1000 Eintrittskarten kaufte. Seitdem war das Festival untrennbar mit dem Namen Stefan Richter verbunden.
„Ein wenig gewagt war die ganze Angelegenheit schon.“
Cheforganisator Stefan Richter
Angefangen hat es mit einem kleineren Festzelt, das unterhalb des Kulturhauses Aktivist in Schlema aufgebaut wurde. „Ein wenig gewagt war die ganze Angelegenheit schon“, ist in der Orchesterchronik zu lesen. Weiter heißt es: „Aber jetzt da alles vorbei ist, kann man ohne Übertreibung sagen: phantastisch!“ Es spielten die Gastgeber, Orchester aus Aue und Neuwürschnitz, es gab Familiendisco, Tombola, Kindertheater und eine Autoschau. Das einzige Orchester aus dem Ausland war damals das Stadtorchester Teplice aus Tschechien.
1993 feierte der Ort Schlema sein 600-jähriges Bestehen. Deshalb übernahm der damalige Bürgermeister Konrad Barth die Schirmherrschaft. Auch das Festzelt wuchs, hatte nun 1200 Sitzplätze und das musikalische Programm wurde umfangreicher. Die Gastgeber, sechs Orchester aus der Umgebung und die Musiker aus dem tschechischen Teplice standen auf der Bühne. Abends spielte die Gruppe Korrosion zum Tanz auf.
Aber die Gäste blieben aus. Drei Tage Regen machten die Veranstaltung zum Verlustgeschäft. Stefan Richter entschied sich trotz des Widerstands noch ein drittes Musikfest durchzuführen. Dieses brachte dann den ersehnten Erfolg und schaffte so den Durchbruch.
Das Fest im September 1994 hieß dann „3. Internationales Musikfest“. Es reisten Orchester aus Italien, Estland, Polen und Tschechien in den aufstrebenden Kurort Schlema. Die neu errichtete Marktpassage mit vielen Geschäften und einem Supermarkt hatte einen großen Parkplatz. Den durfte das Bergmannsblasorchester nutzen für ein noch größeres Festzelt, das nun Sitzmöglichkeiten bot für 2500 Blasmusikfreunde. Und auch Platz für zwei Bühnen, jeweils an den Stirnseiten. So war es erstmals möglich, dass nonstop Musik erklingen konnte. Denn während auf der einen Bühne gespielt wurde, konnte auf der anderen umgebaut werden.
„Als am Sonnabend die Italiener Verdis Triumphmarsch aus der Oper Aida intonierten und anschließend die Schloßberggeister aus Herrenberg etwas zum Besten gaben, krachte das Zelt, die Leute standen auf den Bänken.“
Orchesterchronik 1994
Das Wetter meinte es gut mit den Veranstaltern. Drei Tage Sonne sorgten für Durst bei den Besuchern, so dass die freiwilligen Helfer am Bierstand alle Hände voll zu tun hatten. Und die Frauen der Musiker hatten wieder lecker Kuchen und Torten gebacken, die reißend Absatz fanden. Wer die Orchesterchronik liest, kann die Begeisterung heute noch spüren.
Ein Jahr später gelang der große Coup bei der Schirmherrschaft, die der damalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe übernahm. Ein kluger Schachzug, denn nur so gelang es Stefan Richter, das Heeresmusikkorps 13 der Bundeswehr Erfurt nach Schlema zu holen. Aber auch aus den USA trat erstmals eine Militärkapelle auf, das 3. Heeresmusikkorps der US Army „Marine Band“ mit einer Frau an der Spitze.
„Ich danke allen Mitwirkenden, den Musikern im Rampenlicht und den Helfern hinter den Kulissen für Ihr Engagement und ihren Ein-satz. Den Besuchern wünsche ich viel Vergnügen und gute Unterhaltung.“
Volker Rühe, Grußwort 1995
Neun Orchester aus fünf Ländern brachten mit Swing von Glenn Miller, bergmännischen Volksliedern oder böhmischer Blasmusik das voll besetzte Festzelt zum Beben.
„Selbst die Musiker aus dem Ausland waren begeistert von der Atmosphäre im Festzelt, sie möchten alle wieder kommen im nächsten Jahr.“
Orchesterchronik 1996
1996 reisten bereits 600 Musiker aus sieben Ländern ins Erzgebirge und machten Schlema endgültig zur Blasmusikhauptstadt Europas.
Rasend schnell entwickelte sich das Fest und bekam 1998 den Namen Europäisches Blasmusikfestival. Wobei inzwischen auch Orchester von anderen Kontinenten in dem jetzt 3500-Personen-Festzelt aufgetreten sind.
Insgesamt 33 Nationen sind bisher Gäste des Musikvereins Bergmannsblasorchester Aue-Bad Schlema gewesen, hier in alphabetischer Reihenfolge:
Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, England, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Israel, Italien, Japan, Kolumbien, Kroatien, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Nordirland, Norwegen, Österreich, Polen, Russland, Schottland, Schweden, Schweiz, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ukraine, Ungarn, USA, Weißrussland, Zypern.
Schirmherren waren seitdem unter anderem:
• Ingrid Biedenkopf, Ehefrau des damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf
• Madam Viviane Reding aus Luxemburg, Kulturkommissarin der Europäischen Union
• Ländräte, Regierungspräsidenten, sächsische Staatsminister und Ministerpräsidenten, Geschäftsführer von Sponsoren.
Eine Situation geht vielen nicht aus dem Kopf: Der Terroranschlag auf das World Trade Center in New York. Das war am Dienstag dem 11.09.2001. Drei Tage später, am 14.09.2001, sollte das Festival eröffnet werden. Dabei stand wieder ein amerikanisches Orchester auf dem Programm. Stefan Richter traute sich nicht, die Amerikaner zu kontaktieren. Doch diese meldeten sich selbst und fragten, ob das Festival durchgeführt wird: „Wir sitzen auf gepackten Koffern. Wenn ihr das Festival durchführt, kommen wir auf jeden Fall.“
„Das Festgelände war in Trauerflor gekleidet und der erste Titel, den die Amerikaner im Festzelt spielten, war „New York, New York“. Nie wieder hatte ich solch eine Gänsehaut.“
Stefan Richter im September 2001
Dem Cheforganisator fiel ein Stein vom Herzen. Die Musiker der US Army First Infantry Division Band waren die Stars des Festivals 2001.
Zum Thema Völkerverständigung weiß das Europäische Blasmusikfestival viel zu erzählen. So zum Beispiel vom ersten Zusammentreffen eines Orchesters aus Irland und Großbritannien im Jahr 2010. Die Musiker der Dublin Concert Band hatten Bedenken hinsichtlich eines Aufeinandertreffens mit den Musikern vom Polizeiorchester „Band and Drums of the Cheshire Constabulary“ aus Großbritannien geäußert, welches ebenfalls zu Gast war. Hintergrund dieser Bedenken war, dass einige Mitglieder des Polizeiorchesters während der Auseinandersetzungen zwischen Irland und Großbritannien dort stationiert waren. Der Krieg im eigenen Land hatte die Menschen misstrauisch gemacht. Zwei Musiker beider Orchester trafen zufällig auf dem Toilettengang aufeinander. Nachdem die Zwei wieder im Festzelt waren, konnten alle mit ansehen, wie sich nach und nach immer mehr Briten und Irländer begegneten und zusammen lachten.
„Da müssen wir uns erst in Deutschland treffen, um uns freundschaftlich zu begegnen.“
Musiker aus Dublin 2010
Seit diesem Moment spielten beide Orchester, wenn sie gleichzeitig eingeladen waren, bei ihren Einsätzen des Festivals immer die letzten beiden Titel gemeinsam. Den freundschaftlichen Kontakt zueinander pflegen beide Orchester bis zum heutigen Tag.
Dies ist nur einen von vielen Geschichten, die wieder einmal zeigt: Musik kennt keine Grenzen und das Festival hilft, sie zu überwinden.
Für die Vorbereitung und Durchführung des Blasmusikfestivals wurde das Bergmannsblasorchester Aue-Bad Schlema im Rahmen der Internationalen Musikmesse in Frankfurt am Main im Jahr 2002 von der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände von über 172 deutschen Musikvereinen, die sich beworben hatten, als „Bundessieger und 1. Ehrenamtspreisträger für innovative, moderne und ehrenamtlich engagierte Vereinsarbeit“ geehrt.
Zum Jubiläum 30 Jahre Europäisches Blasmusikfestival sind vor allem Musiker dabei, die schon mehrmals hier gewesen sind und geholfen haben, das Festival über die Grenzen von Deutschland hinaus zu diesem einmaligen Event zu machen. 54 Konzerte wird es diesmal geben von 16 Orchestern aus 11 Ländern. Und dazu eine Jubiläums-Lasershow mit Videos aus der Vergangenheit. Nicht zu vergessen die beiden Festumzüge am Freitag und Sonntag. Ein weiteres Highlight: das Eröffnungskonzert sein, bei dem fast 700 Musiker gemeinsam spielen, obwohl sie vorher nie miteinander geprobt haben.
„Wir haben dieses Jahr vor allem Orchester eingeladen, die in den vergangenen Jahrzehnten mit ihren Auftritten dafür gesorgt haben.“
Thomas Schaumberger, Präsident Bergmannsblasorchester Aue-Bad Schlema
Bereits 2018 begeisterten die Kolumbianer das Erzgebirge, als erste Südamerikaner überhaupt auf diesem Festival. Banda Sinfónica La Estrella wird dieses Jahr schon beim Tag der Sachsen dabei sein und auf dem größten Volksfest des Freistaats die Menschen einstimmen auf eine Atmosphäre, die grenzenlos ist.
Allgemeine Informationen
Das Europäische Blasmusikfestival wird jedes Jahr vom Musikverein Bergmannsblasorchester Aue-Bad Schlema e.V. organisiert. Der Umfang, die Art und der Ablauf des Musikfestivals gelten in Europa als einmalig und begründen damit die Alleinstellungsmerkmale der Veranstaltung.
Beim Europäischen Blasmusikfestival handelt es sich um eine jährliche Großveranstaltung, die Nationen verbindet. Erstklassige Orchester aus mindestens zehn europäischen Ländern, die in ihren jeweiligen Heimatländern ein hohes Ansehen besitzen, treten zum Europäischen Blasmusikfestival auf. Das Publikum erlebt an den drei Festivaltagen zwischen 50 und 60 Konzerte in höchster Qualität aus verschiedenen Blasmusikgenres, die auf zwei großen Bühnen in einem beheizten und voll bewirtschafteten Festzelt mit 3.500 Sitzplätzen in einem Nonstop-Programm dargeboten werden. Zwei große Festumzüge mit jeweils 1.000 Mitwirkenden umrahmen das Musikevent.
Die verschiedenen Blasmusikgenres repräsentieren die Vielfalt dieser Musik aus allen Teilen Europas. Sie reichen von Swing und Bigband-Sound über heitere Muse bis hin zu Volksmusik und Arrangements moderner Rock- und Popmusik. Auch klassische und konzertante Musikstücke werden meisterhaft interpretiert.
Musik kennt keine Grenzen, verbindet Menschen und überwindet jede Sprachbarriere. Mit Musik werden in vielfältiger Weise Empfindungen ausgedrückt und Kulturen einander näher gebracht. Das Europäische Blasmusikfestival hat keinen Wettbewerbscharakter, sondern dient allein der Begegnung und dem Knüpfen von Freundschaften zwischen hochrangigen europäischen Blasorchestern und einem breiten Publikum von Blasmusikliebhabern.
Das gesamte Festgelände ist behindertenfreundlich ohne Barrieren gestaltet – dazu gehören rollstuhlzugängliche Tische und Behindertentoiletten. Parkmöglichkeiten für PKW und Reisebusse sind ausreichend vorhanden.
Zum Europäischen Blasmusikfestival pilgern jährlich bis zu 20.000 musikbegeisterte Besucher aus allen Bundesländern und dem europäischen Ausland. Die Veranstaltung gilt als ein etabliertes Musik-Highlight, das zahlreiche Reiseunternehmen fest in ihr Programm aufgenommen haben.
Der Musikverein Bergmannsblasorchester Aue-Bad Schlema e.V. ist immer auf der Suche nach neuen Blasorchestern, die am Europäischen Blasmusikfestival teilnehmen möchten. Bei Interesse melden Sie sich bitte bei uns – am besten mit einer Bewerbung per E-Mail (inkl. Foto und Kurzchronik zum Entwicklungsweg und den wichtigsten Auftritten im In- und Ausland).